Solidarität mit Kriegsflüchtlingen

Metaller aus Ostbrandenburg organisierten spontanen Hilfsgütertransport an die polnisch-ukrainische Grenze

15.03.2022 | Wie können wir fliehenden Menschen aus der Ukraine konkret helfen? Wahrscheinlich eine Frage, die sich zurzeit viele Menschen in Deutschland stellen. An einem Montag im Februar 2022 ersinnen vier Freunde in Frankfurt (Oder) bei einem Treffen die Idee, in ihrem Bekanntenkreis Hilfsgüter zu sammeln und an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen. Bereits am darauffolgenden Wochenende setzen sie ihre Idee in die Tat um und fahren mit zwei randvoll beladenen Kleintransportern voller Spenden in das polnische-ukrainische Grenzgebiet nahe Lwiw.

Die IG Metall Ludwigsfelde stellte für die Hilfsaktion ohne weitere Nachfragen, direkt ihren Transporter zur Verfügung.

Montagabend, der 28. Februar 2022, in Frankfurt (Oder): Vier Freunde, darunter die IG Metaller Jörg Ullrich und Tim Kolax, diskutieren darüber, wie sie fliehenden Menschen aus der Ukraine möglicherweise helfen könnten. Spenden ja, unbedingt. Aber an wen und wo kommen die Spenden an? Wo werden sie am dringendsten gebraucht? Sie entwickeln die Idee, einen Hilfsgütertransport an die polnisch-ukrainische Grenze einfach selbst zu organisieren. Über den Messengerdienst WhatsApp starten sie am folgenden Tag einen Aufruf an Freunde und Bekannte, Hilfsgüter wie Schlafsäcke, Medikamente, Hygieneartikel, Babynahrung und Nahrungsmittel zu spenden. Abgegeben werden konnten die Spenden in der Geschäftsstelle der IG Metall Ostbrandenburg und in einer Garage eines der Beteiligten.

„Es war unglaublich, wie viele Spenden innerhalb von drei Tagen zusammenkamen“, sagt Tim Kolax, Vorsitzender des Jugendausschuss der IG Metall Ostbrandenburg und einer der Initiatoren, der privaten Hilfsaktion. „Wir waren sprachlos angesichts der enormen Spendenbereitschaft und der riesigen Menge an Spenden. Auch das Team der IG Metall Ostbrandenburg war sofort Feuer und Flamme für die Aktion. Alle haben mit überlegt, selbst geholfen und Jörg mehrere Tage den Rücken frei gehalten um alles organisieren zu können.“

Schnell war für die Freunde dann klar: Autos reichen auf keinen Fall aus. Zwei große Transporter müssen her. Einen stellte dann nach kurzer, unbürokratischer Anfrage beim dortigen Geschäftsführer Tobias Kunzmann, die IG Metall Ludwigsfelde zur Verfügung. Freitagabend beluden die vier Initiatoren dann die beiden Transporter bis unters Dach, jeder noch so kleine zur Verfügung stehende Stauraum wurde genutzt.

Jörg Ullrich, Politischer Sekretär der IG Metall Ostbrandenburg und ebenfalls Mitinitiator: „Am frühen Samstagmorgen sind wir um 4 Uhr in Frankfurt (Oder) gestartet und kamen dann zehn Stunden später gegen 14 Uhr an der polnisch-ukrainischen Grenze am Übergang zu Lwiw an. Wir wollten erst einen anderen Ort anfahren, haben dann aber den Hinweis bekommen, dass die Not dort sehr groß sei und offizielle Hilfe noch nicht wirklich angelaufen ist. Also haben wir während der Fahrt alles nochmal umgeplant und sind direkt bis an die Grenze gefahren. In der Nähe des Grenzübergangs waren zwei Logistikhallen in einer unglaublichen Geschwindigkeit zu einem, den Umständen entsprechend, gut organisierten Auffanglager umfunktioniert. Dort angekommen, mussten wir unsere Eindrücke erst einmal sacken lassen und uns einen Überblick verschaffen. Zu sagen, es war bedrückend, würde das Gefühl nicht annähernd richtig wieder geben, dass uns überkam, als wir den tausenden Menschen in ihre verzweifelten Gesichter blicken mussten.

Irgendwann wussten wir dann, wo wir die Spenden abgeben müssen und versuchten uns einfach nur darauf zu konzentrieren jetzt unsere Spenden abzuladen und zu helfen: Wir haben dann ca. anderthalb Stunden lang gemeinsam mit polnischen Soldaten die Spenden ausgepackt und sortiert. Diese wurden daraufhin mit Einkaufswagen direkt in die Unterkunftshalle gebracht und verteilt. Die Situation dort, die Verzweiflung, das Leid, sind mit Worten kaum zu beschreiben. Dort harren zehntausende Menschen aus, vor allem Frauen und so unbeschreiblich viele Kinder – erschöpft, durstig, hungrig und müde. Die meisten wollen gar nicht weg oder zumindest in der Nähe bleiben, in der Hoffnung, dass schon bald alles in ihrer Heimat wieder gut werden könnte. Alle paar Minuten kommen ein neuer Bus oder ein Auto an. Helfer sagten uns, es kommen am Tag rund 30.000 Menschen hier an. Genauer möchte ich es jetzt nicht beschreiben, es geht mir noch immer zu nahe.

Gegen 16 Uhr sind wir dann ins nächstgelegene Hotel gefahren, um uns auszuruhen. Das war leider annähernd zwei Stunden entfernt. Am nächsten Morgen um 7 Uhr sind wir dann wieder zurück zu dem Aufnahmezentrum an der Grenze gefahren, um unsere fünf freien Sitzplätze in dem IG Metall-Transporter anzubieten. Das war einer der allerschwersten Momente, in meinem Leben. Wir malten ein Schild, auf dem die Städte standen, die auf unserer Rückroute lagen und wie viele Plätze wir zur Verfügung stellen können. Sofort bildete sich eine große Traube verzweifelter Menschen um uns herum, die sich teilweise an uns festhielten, um mit uns mitkommen zu können. Es war eine furchtbare Situation, entscheiden zu müssen, wer diese fünf Menschen sein sollten.

Die "Familien", die wir dann letztendlich im Auto mitnehmen konnten, waren seit sechs Tagen auf der Flucht – sie lebten in Charkiw. Sie wurden, wenn wir es richtig verstanden hatten, von Raketeneinschlägen in ihrem Wohnblock geweckt. Die Kinder waren völlig verängstigt und apathisch, sie hatten wohl seit drei Tagen nicht geschlafen, sagten uns die Mütter. Alle fünf sind keine fünf Minuten, nachdem sie im Auto saßen, eingeschlafen. Ihre Erschöpfung muss so groß gewesen sein, dass sie für Vertrauensvorbehalte uns gegenüber keine Kraft mehr hatten. Die Kinder mussten wir zweimal – zum Essen – wecken. Wir waren noch nicht mal richtig vom Rastplatz runter, da haben sie dann jeweils schon wieder geschlafen. "Familien" deshalb in Anführungszeichen geschrieben, weil die beiden Mütter und die Kinder nicht wissen, ob sie ihre Männer und Väter jemals wiedersehen werden. Diese sind in der Ukraine geblieben und müssen kämpfen.

Uns war innerhalb weniger Minuten klar, dass wir diese fünf Menschen unter keinen Umständen in der nächsten Sammelunterkunft abgeben wollten. Wir haben während der Fahrt dann private Unterkünfte bei Bekannten und Freunden organisierst bekommen, die sich spontan bereit erklärten, die ukrainischen Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Auch von so dieser Dimension der Hilfsbereitschaft und Unterstützung aus unserem Umfeld, waren wir einfach nur beeindruckt.

Am Sonntagabend gegen 21 Uhr konnten wir dann zwei – den Umständen entsprechend – überglückliche Mütter mit drei wieder lächelnden Kindern, die uns um den Hals gefallen sind, bei unseren Bekannten in Sicherheit abgeben. Wir stehen in engem Kontakt zu den fünf. Sie sprechen immer wieder davon, dass für sie ein Wunder geschehen sei.“

So viel an dieser Stelle in Kürze zu Erlebnissen, die zu den Bewegendsten in unserem Leben gehören werden. Wir alle haben seit Sonntag einen völlig neuen Blick auf alles, was wir hier "Probleme" nennen.“

Wer sich ebenfalls engagieren möchte und Fragen hat oder Erfahrungsberichte brauch, kann sich jederzeit bei der IG Metall Ostbrandenburg melden. Eventuell wird in einigen Wochen eine weitere Hilfsaktion geplant.

Von: ju

Unsere Social Media Kanäle