Interview mit Holger Wachsmann

„Um die Industriekerne herum darf es keine Zweiklassengesellschaft geben.“

06.05.2021 | Die IG Metall Ostbrandenburg will die Beschäftigten bei den Dienstleistern rund um das Stahlwerk Eisenhüttenstadt dabei unterstützen, perspektivisch Tarifbindung zu erreichen. Im einem Interview mit der Metallzeitung erläutert Holger Wachsmann, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostbrandenburg, die aktuelle Lage sowie die Angebote der IG Metall Ostbrandenburg für die Kolleginnen und Kollegen.

Holger Wachsmann, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostbrandenburg. - Foto: Volker Wartmann

Auf dem Areal des Stahlwerks ArcellorMittal in Eisenhüttenstadt sind zahlreiche Dienstleister ansässig, deren einziger oder zumindest wesentlicher Hauptkunde das Stahlwerk ist. Sie kümmern sich beispielsweise um Logistik- und Verpackungsaufgaben, um Instandhaltung, Wartung und Montage von Maschinen oder um Entsorgungs- und Aufbereitungsaufgaben für das Stahlwerk. Allerdings sind die Arbeits- und Lohnbedingungen für die Beschäftigten bei diesen Dienstleistern sehr unterschiedlich und meist erheblich schlechter als im Stahlwerk selbst. Holger Wachsmann, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostbrandenburg, sieht darin die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, die auf Dauer nicht hinnehmbar ist.

Metallzeitung (MZ): Wie sieht die aktuelle Lage bei den Dienstleistern rund um das Stahlwerk ArcelorMittal aus?

Holger Wachsmann: Die Lage bei den einzelnen Dienstleistern ist sehr unterschiedlich. Die Beschäftigten beispielsweise bei VEO und EKO Recycling haben Arbeits- und Lohnbedingungen, die mit denen der Kolleginnen und Kollegen im Stahlwerk vergleichbar sind. Bei den meisten anderen Unternehmen ist die Situation jedoch deutlich schlechter. Teilweise bestehen zwischen der Kernbelegschaft von ArcelorMittal und den Kumpeln bei den Dienstleistern Lohnunterschiede von bis zu 50 Prozent bei vergleichbaren Tätigkeiten. Dieses Lohngefälle ist zu groß und muss perspektivisch durch höhere Einkommen bei den Dienstleistern verkleinert werden.

MZ: Was sind die Gründe für diese großen Unterschiede bei den verschiedenen Dienstleistern?

Holger Wachsmann: Die Kolleginnen und Kollegen bei VEO und EKO Recycling beispielsweise haben Anerkennungstarifverträge, die ihnen vergleichbar gute Bedingungen wie den Beschäftigten im Stahlwerk sichern. Auch die Beschäftigten bei FSME und ICP haben Anerkennungstarifverträge, müssen im Vergleich jedoch in manchen Bereichen bereits erheblich Abstriche machen. Und zahlreiche andere Unternehmen sind gar nicht tarifgebunden. Dort sind die Arbeits- und Lohnbedingungen deshalb teilweise schlecht und im Grunde nicht akzeptabel.

MZ: Was sind die Folgen diese großen Lohnunterschiede?

Holger Wachsmann: Natürlich geht es erst einmal um mehr Gerechtigkeit, aber insbesondere für junge Kolleginnen und Kollegen werden die Betriebe unattraktiv. Darum sollten auch die Unternehmen ein Interesse daran haben, ihre Fachkräfte ordentlich und fair zu bezahlen. Sonst bekommen sie bald nämlich keine mehr. Lohnunterschiede sind prinzipiell nicht gut. Sie erhöhen auch den Druck auf die Belegschaften bei den Kernanbietern. Wenn die Lohnunterschiede zu groß sind, weckt das zudem Begehrlichkeiten bei den Arbeitgebern, zum Beispiel Tätigkeiten auszugliedern. Manche Unternehmen haben sich bei uns auch schon beschwert, dass die Verrechnungspreise von ArcelorMittal viel zu niedrig seien und sie deswegen keine höheren Löhne zahlen könnten.

MZ: Wie will die IG Metall gegen diese Ungerechtigkeit der großen Lohnunterschiede bei vergleichbaren Tätigkeiten vorgehen?

Holger Wachsmann: Aus Sicht der Gewerkschaft ist es nicht hinnehmbar, dass sich um die Industriekerne herum eine Zweiklassengesellschaft etabliert. Wir wollten bereits im vergangenen Jahr eine Dienstleisterkonferenz durchführen, um mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu besprechen, wie wir gemeinsam Wege hin zu einem besseren Lohnniveau finden können. Die Pandemie hat uns aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Diese Konferenz planen wir in diesem Jahr nachzuholen. Um in Tarifbindung zu kommen, werden wir gemeinsam eine Tarifbewegung organisieren müssen. Das sehen wir als einen unserer wichtigsten Arbeitsschwerpunkte für die kommenden Jahre. Klar ist aber auch, dass die Beschäftigten sich dafür engagieren und einbringen müssen. Es gibt auch einige Betriebsräte, die bisher nicht mit uns zusammenarbeiten möchten, weil sie meinen, es alleine besser hinzubekommen. Das bezweifele ich zwar, aber die Zeit ist reif, das Thema jetzt gemeinsam anzugehen.

 

Von: vw

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